Ist die Kundenanlage noch zu retten?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 13.05.2025 einem Areal mit mehreren Wohnblocks den Status einer Kundenanlage gemäß §3 Nr. 24a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) verweigert. Laut der Pressemitteilung zu dem Beschluss sei eine Kundenanlage nur dann gegeben, „wenn sie kein Verteilernetz im Sinn von Art. 2 Nr. 28 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie darstellt.“
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), das dem Beschluss vorausging, gilt als Verteilernetz im Sinne der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EltRL) jedes Netz bis zur Ebene der Niederspannung (230V), „das zur Weiterleitung von Elektrizität […] dient, die zum Verkauf an Großhändler oder Endkunden bestimmt ist“. Hiernach sind aber selbst kleinste Mehrfamilienhaus-Verteilnetze, die – den Vorgaben für die Kundenanlage entsprechend – den Elektrizitätsversorgern unentgeltlich zum Verkauf ihres Stroms an die angeschlossenen Letztverbraucher zur Verfügung stehen, Verteilernetze im Sinne der Elt-RL.
Die Wohnungswirtschaft sollte aufhorchen, ebenso wie alle Mieterstrom– und Gebäudestromanbieter.
Der BGH setzt möglicherweise dazu an, Betreiber von bisher als Kundenanlage eingestuften Netzen als Betreiber eines öffentlichen Netzes nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) zu behandeln. Mehrfamilienhaus (MFH) -Vermieter, Wohnungseigentümergemeinschaften (WEGs) usw. sind aber ganz offensichtlich nicht in der Lage, die Genehmigung für den Betrieb eines öffentlichen Netzes im Sinne des § 4 EnWG zu erlangen und an der Marktkommunikation, dem Bilanzkreissystem und an der technischen Steuerung der Netze teilzunehmen, oder die EEG-Förderung abzuwickeln.
Allerdings liegt die schriftliche Begründung zu der Entscheidung, die direkt nach der mündlichen Verhandlung erging, noch nicht vor. Der Satz ist nur der Pressemitteilung entnommen.
Wie man hier und da zur Beruhigung hört, gilt die Entscheidung nicht für einzelne Gebäude. Das ist richtig. Sie betrifft ein Areal, das ein großer Energieversorger (!) als Kundenanlage an das Netz des örtlichen Verteilnetzbetreibers (VNB) anschließen wollte, der diesen „Service“ verweigerte. Genau genommen gilt die Entscheidung des BGH nur für genau dieses Areal.
Der Bundesgerichtshof gibt aber als Revisionsgericht die Grundlagen rechtlicher Entscheidungsfindung bei den einfachen Gerichten argumentativ vor. Und die Argumente, die bisher bekannt sind, unterscheiden nicht zwischen großen Arealen und einzelnen Gebäuden.
Bis die Begründung der BGH-Entscheidung vorliegt, ist daher völlig unklar, auf welche Sachverhalte sie Auswirkungen haben wird.
Was jedoch unabhängig von der noch fehlenden Argumentation des BGH bereits möglich ist, ist ein genauerer Blick auf das, was das deutsche und europäische Recht zur „Kundenanlage“ sagen, und wo diese im Einzelnen kollidieren. Die Kollisionsbereiche sind tatsächlich nicht so groß, wie man meinen könnte.
Der EuGH wurde vom BGH angerufen, weil der BGH meinte, die Kundenanlage begründe (möglicherweise) eine generelle Ausnahme von den Vorgaben der EU-Richtlinie (EltRL) für das deutsche Energierecht. Das hat der EuGH – wenig überraschend – verneint. Die EltRL enthält keine Ausnahmeregelung, die der Definition der Kundenanlage entspricht. Dass die EltRL implizit – nach Sinn und Zweck – so auszulegen wäre, dass sie Sachverhalte, die unter den Begriff der Kundenanlage fallen könnten, generell nicht erfasst, hat der EuGH am Beispiel des vom BGH beschriebenen Falles ebenfalls negativ beantwortet: Der betreffende Arealnetzbetreiber unterliege den Verpflichtungen eines Verteilernetzbetreibers.
Allerdings meint der EuGH hiermit die Verpflichtungen eines Verteilernetzbetreibers im Sinne der EltRL, die er in seiner Entscheidung im Einzelnen aufführt. Denn der EuGH entscheidet nur über die Auslegung des EU-Rechts, nicht über die Auslegung des deutschen Rechts.
Das deutsche Recht muss allerdings entsprechend der Vorgaben des EuGH „richtlinienkonform“ ausgelegt werden. Das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale einer Kundenanlage nach nationalem Recht schützt folglich nicht vor der Anwendung der vom EuGH referierten Pflichten der EltRL. Der Betreiber einer Kundenanlage kann als Verteilernetzbetreiber im Sinne des Europarechts zu behandeln sein.
Das bedeutet aber nicht, dass er nicht im nationalen Recht von Pflichten ausgenommen werden kann, die die Betreiber eines öffentlichen (Verteiler-) Netzes nach dem EnWG treffen. Dass ein Verteilernetz im Sinne des EU-Rechts immer auch öffentliches Netz im Sinne des EnWG oder des EEG sein muss, selbst wenn es nach nationalem Recht als Kundenanlage gerade kein öffentliches Netz sein soll, kann man der Richtlinie nicht entnehmen.
Insoweit könnte man eigentlich Entwarnung geben und die Anwendbarkeit der einzelnen vom EuGH angeführten Pflichten eines Verteilernetzbetreibers nach dem EU-Recht auf Konstellationen prüfen, die im nationalen Recht als Kundenanlage definiert sind.
Liest man aber die Pressemitteilung zum Beschluss des Bundesgerichtshofes, dann steht dort:
„[die Definition der Kundenanlage in § 3 Nr. 24a EnWG] ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass eine Kundenanlage nur dann gegeben ist, wenn sie kein Verteilernetz im Sinn von Art. 2 Nr. 28 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie darstellt.“
Nimmt man diesen Satz, wie er da steht, ist die Kundenanlage, wie sie im EnWG geregelt ist, komplett hinfällig. Sämtliche Regelungen mit Bezug auf die Defintion der Kundenanlage im EnWG wären quasi null und nichtig, soweit sie sich auf Netze beziehen, die in irgendeiner Weise dem Verkauf von Elektrizität dienen. Allein die Leitungen, die hinter dem letzten Messpunkte einer einzelnen Person, Gesellschaft oder Gemeinschaft sich befinden, und nur von dieser selbst genutzt werden, ohne Stromverkäufe zum Beispiel innerhalb einer „gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung“, wären auch weiterhin als Kundenanlagen zu behandeln.
Meines Erachtens würde der BGH, wenn er wirklich auf dieser Basis entscheidet, das deutsche Recht weit über die nötige „richtlinienkonforme Auslegung“ hinaus verbiegen und Teile des deutschen Rechts als unwirksam behandeln, die von ihm keineswegs aufgehoben werden dürfen (das darf nur das Bundesverfassungsgericht). Ob das dann über den entschiedenen Einzelfall hinaus überhaupt argumentativ aufgenommen und sogar bis in das EEG weitergesponnen werden darf, bis hin zur Frage des „öffentlichen Netzes“ im Sinne des EEG und entsprechenden Folgen für Mieterstrom, Gebäudestrom usw. (so Scholtka/Freyer im PV-Magazine) ist mehr als zweifelhaft. Denn wenn man so weit ginge, müssten alle deutschen Vermieter Genehmigungen nach § 4 EnWG für den Betrieb ihre Hausverteilnetze einholen, Netzentgelte erheben, an der Marktkommunikation teilnehmen, Bilanzkreise führen und die Systemstabilität gewährleisten. Auch die EEG-Förderung müssten sie auszahlen, nicht nur beim Mieterstrom. Alle diese (hypothetischen) Folgen sind in der Elt-RL keinesfalls vorgesehen und sie waren auch nicht Gegenstand der Entscheidung des EuGH.
Es bleibt also mit Spannung abzuwarten, wie die Begründung der BGH-Entscheidung am Ende wirklich ausfällt.
Ich werde berichten.
Verfasser: Peter Nümann